Staatsbürgerschaftsrecht neu – kein Best-Practice-Modell

Das österreichische „Staatsbürgerschaftsrecht neu“ ist seit dem Frühjahr dieses Jahres in Kraft. Es sieht vor, dass sogenannte „sehr gut integrierte“ AusländerInnen schon nach sechs, statt wie seither nach zehn Jahren die Einbürgerung in Österreich beantragen können. Unter sehr gut integriert versteht Integrationsstaatssekretär Kurz: „Nach sechs Jahren erhält die Staatsbürgerschaft, wer sechs Jahre regelmäßig einer Arbeit nachgeht, Steuern und Abgaben zahlt, keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen hat und über Deutschkenntnis auf Maturaniveau als erste lebende Fremdsprache (B2-Level) verfügt. Bei geringeren Deutschkenntnissen (Mittelschulniveau erste lebende Fremdsprache, B1-Level) ist ein dreijähriges, ehrenamtliches Engagement bei einer gemeinnützigen Organisation (Feuerwehr, Rotes Kreuz, Samariter etc.) oder beruflich im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereich oder ehrenamtlich in einem nicht gesetzlichen Interessenverband (Elternvertretung, Betriebsrat) vorzuweisen.“ Gerne spricht Kurz in diesem Zusammenhang auch von „Anerkennung von Leistung“ – die Anerkennung der Leistung erfolgt nach seiner Lesart in Form der Verleihung der Staatsbürgerschaft.

Befasste sich Sozialphilosoph Axel Honneth mit der österreichischen Einbürgerungspraxis, würde er vermutlich an dieser Stelle aufhorchen.
In seiner Anerkennungstheorie nennt er drei Formen von Anerkennung: diejenige der Primärbeziehungen (Liebe, Freundschaft), die Form der Rechtsverhältnisse (Rechte) und die Anerkennungsform der sozialen Wertschätzung. Die Sphäre der Rechtsverhältnisse und die der sozialen Wertschätzung haben sich im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung hin zum modernen Rechtsstaat getrennt. Im demokratisch verfassten Rechtssystem sollen jeder Bürgerin und jedem Bürger die gleichen Rechte zukommen – es handelt sich insofern um ein Bezugssystem, das durch gleiche Geltung für alle Teilhabenden Solidarität untereinander – und man könnte hinzufügen: einen hohen Grad an gesellschaftlicher Integration – schafft: StaatsbürgerInnen erkennen einander als gleichwertig, dem gleichen Rechtssystem zugehörig an. Immer wo diese Gleichwertigkeit gestört ist, kann es zu einer Störung der Solidarität kommen, wie unterschiedliche Rechte für einzelne Gruppen, zum Beispiel Ehen zwischen heterosexuellen und homsexuellen Paaren, zeigen. Wertschätzung im kapitalistisch geprägten System baut dagegen stark auf der Leistung des Bürgers, der Bürgerin auf. „Leistungsprinzip als Maßstab der Sozialhierarchie“ nennt Honneth die Funktionsweise der Anerkennungsform sozialer Wertschätzung. Sie differiert in Abhängigkeit von der Leistung, aber auch von der sozialen Klasse, die erst den Zugang zu bestimmten Ressourcen, wie Bildungszertifikaten oder beruflichen Positionen verschaffen, die es den Subjekten dann ermöglichen, bestimmte Leistungen überhaupt zu erbringen. Strengenommen handelt es sich also nicht um eine Leistung, die die Betroffenen zu erbringen haben sondern um die Ergebnisse von erbrachten Leistungen, die nicht direkt mit dem Grad an Leistung zusammenhängt. Wie schwierig diese Ergebnisse zu erzielen sind, zeigt die „Liste der Berufe, die für die Einbürgerung nicht ausreichen“ . Sie ist innerhalb eines kritischen Beitrags auf der Homepage von SOS Mitmensch verlinkt.
Das „Staatsbürgerschaftsrecht neu“ verschränkt die Anerkennungssphäre des Rechts mit derjenigen der sozialen Wertschätzung. Dies ist nicht neu, denn die Koppelung an Dauer und Höhe des Gehalts war schon bei der früheren Vergabepraxis Usus. Dieser Umstand wird international kritisiert, denn die Vergabepraxis in Österreich fällt dadurch im internationalen Vergleich äußerst restriktiv aus. Während man in Österreich davon ausgeht, dass die Staatsbürgerschaft verdient, wer sich „gut integriert“ hat, so sieht das kanadische System beispielsweise vor, dass die Zugehörigkeit zum Staat, eine Bedingung für gelingende Integration ist.
Von staatlicher Seite aus wird Leistung mit Höhe und Dauer des Einkommens und darüber hinaus mit der Teilnahme an gemeinnützigen Vereinen gleichgesetzt – ein Maßstab, an dem sich vermutlich kein Inländer bewerten lassen wollte und der mit Leistung an sich wenig zu tun hat, denn – wie gesagt – einzelne Personengruppen treten unter vergleichsweise schwierigeren Bedingungen im Kampf um hoch geschätzte Ressourcen und Positionen an als andere. Mit einfacheren Worten: Nicht jeder Mensch bekommt bei gleicher Leistung auch die gleiche Anerkennung – also den gleichen Bildungsabschluss, den gleichen Job, die gleiche Wohnung. Und den gleichen Zugang zur Staatsbürgerschaft, möchte man hinzufügen.
Besonders ausgrenzend wirkt die nun eingeführte Abstufung im neuen Staatsbürgerschaftsrecht. Dies wird besonders ersichtlich, wenn das Ausbleiben sozialer Anerkennung und seine Folgen betrachtet werden. Denn das Ausbleiben sozialer Wertschätzung, so Honneth, betrifft die Würde der Betroffenen, ihre Fähigkeiten und Eigenschaften werden in Zweifel gezogen. Bezogen auf die Gruppe derer, die erst nach zehn Jahren, oder womöglich überhaupt keinen Zugang zur Staatsbürgerschaft erhalten, bedeutet dies: Sie werden in ihrer Person geringer gegenüber denjenigen geschätzt, die in der Lage waren, die Auflagen zu erfüllen. Und genau dies ist ein weiterer wichtiger Knackpunkt im neuen österreichischen Anerkennungssystem: Es schafft Konkurrenz unter den AntragstellerInnen und setzt diejenigen in ihrer Würde herab, die es nicht schafften, die Auflagen in kürzerer Zeit zu erfüllen – überdies ohne die Strukturen in Rechnung zu ziehen, die mitverantwortlich für unterschiedliche Ausgangsbedinungen der Leistungserbringung verschiedener Personengruppen sind.
Noch einmal mit Honneths Worten : „Der Andere muss zunächst anerkannt sein als eine Person mit bestimmten legitimen Ansprüchen, mit bestimmten legitimen Rechten bevor überhaupt ein Konflikt oder ein Konsens stattfinden kann.“ Das heißt: Die Vergabe der Staatsbürgerschaft führt nicht unbedingt direkt zu einem hohen Ausmaß an gesellschaftlicher Integration – sie ist aber die Bedingung für ein gleichberechtigtes Zusammenkommen unterschiedlicher sozialer Gruppen und einer gelingenden Kommunikation untereinander. Diese Umstände wiederum sind notwendige Grundlagen für einen Konsens unter den Gruppen – also einer Gesellschaft mit einem hohen Maß an Integration. Anerkennung – hier die rechtliche – ist die Bedinung für eine integrative Gesellschaft – das neue Staatsbürgerschaftsrecht wirkt dieser diametral entgegen.

Ein Kommentar

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Eine Antwort zu “Staatsbürgerschaftsrecht neu – kein Best-Practice-Modell

  1. kiky

    „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“ ist ein viel zitierter Satz von Max Frisch
    Jedoch wurde diese Aussage zu einer Zeit getroffen, nachdem Länder die Deutschland/Österreich wegen der Arbeitskräftemangel Abwerbeabkommen unterzeichnet hatten. Dem folgten Millionen Menschen nach Europa, um den Wideraufbau nach dem Krieg zu unterstützen.
    Nun, 2013, drei bis vier Generationen danach, sollten wir doch schon wissen, dass es Menschen sind, die hier zum Teil seit Generationen wohnen.

    Danke dem Autor für den interessanten Artikel. Ja, es wird wieder deutlich, dass die Politik bzw. Herr Kurz ein verkürztes und ein einseitiges Verständnis von „Integration“ vertritt und sich somit auch aus der politischen Verantwortung entzieht.
    Wie der Autor schon Honneth zitiert, müssen auch die Bedingungen geschaffen werden, so dass sich Menschen auch einbringen können. Es scheint nicht auszureichen, dass sie arbeiten und Steuern zahlen. Sie müssen sogar mehr leisten.
    Was mich als Mitglied der Österreichischen Gesellschaft bedenklich stimmt ist, dass der Blick auf unsere Mitmenschen geschult wird. Unser Blick wird geschult, nicht mehr die Person im Gesamten zu sehen (wollen), sondern zu separieren (wir und die) und dann nur reduziert messend auf einen bestimmten Teil der Person zu schauen. Dabei reicht das Bemühen der Person nicht aus, sondern es zählen nur noch die tatsächlich vollbrachten Ergebnisse. Auch mit wenig Phantasie können wir uns vorstellen, dass dies mit vielen Entbehrungen zu tun. (z.B. Geld und Zeit). Die Einschränkungen und Barrieren werden von Herrn Kurz schlichtweg ignoriert. Es ist oft keine Frage des Willens, sondern eine Frage der Zugangschancen. (Randbemerkung: Auch viele Österreicher_innen würden an den Voraussetzungen scheitern)

    Es gibt jährlich ein paar wenige Glückliche, die diesen schweren Weg gehen und dann mit Stolz den Österreichischen Pass den Ihren nennen dürfen. Nun, was dann? Sind sie nun integriert?
    Was eine Gleichbehandlung mit sich ziehen würde?
    Dürfen sie sich auf die Menschenrechte und Grundrechte beziehen? Oder werden sie immer noch anders behandelt?
    Wie können sie ihr Arbeitsleben gestalten? Mit was für einen Umgang der Gesellschaftsmitglieder dürfen sie rechnen?
    Hier ist mein Punkt: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Welche Werte sollen den Kit der Gesellschaft darstellen? Will ich meine Mitmenschen an ihrer Leistung messen? Ich persönlich finde die Entwicklung sehr bedenklich. Wir können Spekulieren was dieser Logik folgend, die nächsten Schritte oder Sanktion sind: Strafe, Gefängnis, Ausweisen…